Projektbeschrieb

Die Forschungsgegenstände

• Die Widmung ist ein äusserst verbreitetes Phänomen, das unterschiedlichste Werke sowie verschiedene Gattungen und Textformen betrifft. Wer eine erste Bestandesaufnahme vornimmt, wird bald feststellen, wie normal und gesellschaftlich anerkannt, ja sogar notwendig diese Praxis in Italien noch bis ins 19. Jahrhundert war. Man wird darüber hinaus erkennen, dass die Widmung – mit Veränderungen und Metamorphosen – bis ins 20. Jahrhundert bedeutsam geblieben ist. Dennoch könnten heute die allerwenigsten Leser sagen, wem ursprünglich einige der berühmtesten Werke unserer Literatur gewidmet waren. Den Werken vorangestellt, sind die Widmungstexte gerade wegen ihrer marginalen Position einer kontinuierlichen Abnutzung ausgesetzt. So werden sie oft schon nach der ersten Auflage weggelassen, sei es aufgrund der veränderten Beziehung zwischen Autor und Widmungsempfänger, sei es wegen historischer Umwälzungen.

• Selbst wenn die Widmung private und öffentliche Veränderungen überlebt und in den verschiedenen Ausgaben eines Werkes beibehalten wird, ist ihre Reproduktion nach dem Tod des Autors alles andere als garantiert. Im Gegenteil: Es ist üblich, dass sie als zeitgebunden und nebensächlich entfernt wird. Bei anthologischen Sammlungen zum Beispiel geschieht dies auf beinahe systematische Art und Weise. Die partiell oder vollständig abgedruckten Werke werden ohne die eventuelle Widmung, die sie bei der Ersterscheinung begleitet hatte, wiedergegeben. Sie werden so eines Teiles enthoben, der den Konventionen dieser Textsorte gemäss eng mit der eigentlichen Geburt des Werkes verbunden ist und den eine geringe chronologische Distanz nun als überflüssig, wenn nicht gar als reinen Vorwand erscheinen lässt.

• Für eine bessere Kenntnis von Gewohnheiten und Verhaltensweisen zahlreicher Schriftsteller kann es jedoch aufschlussreich sein, sich gerade mit diesem vergänglichen und wenig bekannten Aspekt ihres Schaffens auseinanderzusetzen. In der Tat widerspiegeln solche „Randseiten“, die an äusserst exponierter Stelle des Werkes präsentiert werden, in ihrer Kontingenz und Zerbrechlichkeit auf beinahe unvermittelte Art und Weise die historischen, sozialen und politischen Verhältnisse, unter welchen sie entstanden sind. In unsicherem Gleichgewicht zwischen öffentlichem Schreiben und persönlichem Bekenntnis vertrauen die Widmungen dem Leser entscheidende und beeindruckende Aussagen an. Manchmal scheinen sie sogar fast ins Zentrum des literarischen und kulturellen Systems vorzudringen.

• Lange Zeit hat eine Art historische Zurückhaltung oder Zensur eine systematische Untersuchung dieses sicherlich nicht unbedeutenden Teiles eines Werkes verhindert. „Lügnerin“, „anbiedernd“, „erniedrigend“, „entehren“, „Schamröte“ sind verschiedene Wörter, welche, vor allem seit dem 18. Jahrhundert, mit zunehmender Insistenz den trotz allem anhaltenden Erfolg der Widmung begleiten. Sind die Widmungen aber tatsächlich so langweilig, oder können sie dem aufmerksamen und vorurteilsfreien Betrachter über ihre ritualisierte Form hinaus nicht auch weniger offensichtliche Aspekte eines Werkes und seines Autors enthüllen?

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